Neuland

Samstag, 16. Oktober 2010

Schöne Aussicht

Ein Bad hat sie sich gegönnt, wunderbar warm, gemütlich, der Zusatz verführerisch duftend.

Ein kleines Fläschen Sekt, im Hintergrund leise Musik, den Alltag abwaschen, entspannen nach dem langen Spaziergang im Wald, die Ruhe und die Einsamkeit geniessen.

Sie liegt auf ihrem Sofa, die Sonne scheint auf ihren Bauch, zaubert durch den Kristall, der in dem großen Fenster hängt und den sie angestubst hat, damit er sich dreht, viele regenbogenfarbene Punkte an die Wand.

Sie verfolgt die wirbelnden Punkte an der Wand mit ihren Augen, die Wirkung ist hypnotisch, sie fängt an zu träumen.

Vom Fenster des Schlafzimmers beobachtet sie oft den jungen Mann, sie sieht ihm gerne zu.
Gut gebaut, athletisch, dunkler Typ, er gefällt ihr.

Er scheint allein zu sein mit seiner Katze, auf den Fenstern stehen Pflanzen, an seinen Fenstern keine Gardinen.

Er ist ein pünktlicher Mensch, er hat feste Zeiten, genau wie sie, so kann sie ihm regelmäßig beim Zubereiten des Abendessens beim heimkommen beobachten.

Sie sieht ihn spülen, essen, lesen. Manchmal läuft er mit freiem Oberkörper umher, eine sehr anregende Aussicht, die sie geniesst.

Nun ist es Abend, ein kleines Essen hat sie sich gemacht, der Blick wandert automatisch Richtung Fenster, doch die Fenster auf der anderen Seite liegen im Dunkeln.

Auf dem Sofa die Erinnerung...

wie er am Fenster stand und in die Sonne schaute, sein Gesicht, die Augen geschlossen, die schönen Lippen, das dunkle Haar leicht zerzaust.

Die Haut seiner kräftigen Oberarme, wie sie sich wohl anfühlt?


Sie denkt an seinen Mund, stellt sich vor ihn zu küssen, erst zaghaft, sanft, dann leidenschaftlich, stürmisch.

Ein Schauder jagt ihr über den Rücken, angenehm, sie schüttelt sich leicht, zieht sich die weiche Decke ein wenig höher.

Als sie mit der Hand ihren Oberarm berührt stellt sie sich vor es wäre die seine und lächelt.

Es ist Leben in mir, so viel Leben.
So lang war ich tot, doch langsam erwache ich. Ich beginne von neuem zu fühlen, eine kleine Pflanze die ein Baum werden will, ein kleiner Funken, der zum Feuer wird.


Sie liegt auf dem Sofa, das Wohnzimmer getaucht in warmes Kerzenlicht und sie träumt, träumt von diesem Mann, der ihrer Phantasie ein Gesicht gibt und spürt, spürt das Leben, wie es zurück kommt, wie es über sie kommt, wie es in sie zurück schwappt wie eine gigantische Welle, sie umspült und umgibt, sie überrollt...

Ich bin ich. Und ich lebe!

Mittwoch, 29. September 2010

Schritt für Schritt

Die Ereignisse überschlugen sich, zum Denken, für Selbstbemitleid, zum Träumen und Verdrängen keine Zeit.

Die Suche nach einem neuen Zuhause, einem Kollegen gegenüber nur beiläufig erwähnt, erübrigte sich, da dessen Tochter umzog und ihr die Wohnung überließ.
Davon profitierten sie beide, die junge Frau brauchte nun keine Frist einzuhalten und Lynnie konnte nun endlich raus, raus, raus aus dem Haus, das ihr, obwohl es groß und gut aufgeteilt, immer enger und enger wurde und ihr die Luft zum atmen nahm.

Nicht mehr am Stadtrand, mittendrin, alle wichtigen Stationen schnell zu Fuß, mit dem Rad oder Auto erreichbar. In unmittelbarer Nähe der wunderschöne Park, was sie darüber hinweg tröstet, dass der Wald nun zu weit weg liegt um ihre regelmäßigen "Besuche" ihrer Lieblingsplätze wie gewohnt in ihrem Tagesablauf unterzubringen.

Die Wohnung, klein aber gemütlich, große Fenster mit schöner Aussicht, anfangs leer und trostlos, nun mit neuen Tapeten und sanften Farben frisch und einladend.

Die Möbel fast alle neu angeschafft, bis auf den alten Eichenschrank und die dazu gehörige Kommode.

Die Decken ungewohnt hoch wirkten die Fenster wie tote Augen. Sie, abends auf dem gemütlichen, neuen Sofa, sich fremd fühlend, fehl am Platze, ohne Vertrautheit, ohne Trost, wie ein kleines Mädchen, angstvoll, ruhelos.

Doch schnell waren Stoffe besorgt und passende Vorhänge genäht, Bilder und ihren großen, wundervollen Spiegel aufgehängt, mit ein klein wenig Dekoration die fremden Zimmer in ein neues Heim verwandelt.

Altes, gemischt mit Neuem, ein wenig Erinnerung hier, ein wenig "Neues Leben" dort..

Drei andere Parteien noch im Haus, doch bisher kaum Kontakt zu ihren Nachbarn, flüchtige Begegnungen im Treppenhaus, ein gegenseitiges "Guten Tag", mehr nicht, doch das genügt ihr, vorerst.
Nur abends hört sie Geräusche im Haus, Schritte, gedämpfte Stimmen, ungewohnt, störend und doch seltsam tröstend zu wissen:

Ich bin nicht allein!

Die ersten Schritte, zaghaft, so sehr gefürchtet, sind getan. Mit Hilfe des Mannes, der sich all die Jahre für sie mitkümmerte, der ihr alles erklärte, konnte sie anmelden, ummelden, Verträge kündigen, neue abschließen, die neue Anschrift weiterleiten und vieles andere, mit dem sie sich bisher niemals hat beschäftigen müssen.

Langsam kehrt der Alltag zurück, nach und nach eine gewisse Routine, der neue Tagesablauf so völlig anders als früher.
Sich nicht mehr nach dem Mann richten, nicht mehr mit dem Essen, keine langweiligen Fernsehabende mehr, an denen der Mann einst das Programm entschied, keine störende Musik, die nicht ihrem Geschmack entsprach,

endlich

endlich

endlich

nur

endlich

für mich

endlich

Ich.

Sonntag, 11. Juli 2010

Draußen

Sie geht nicht gerne raus, am liebsten bleibt sie in ihren vertrauten vier Wänden.
In die Natur jederzeit, wo sie eins ist mit sich und ihren Gedanken, spürt, lebt, frei ist, stark.
Die Menschen machen ihr Angst, zu viele Regeln zu beachten, zu viele Phrasen gedankenlos aussprechen, die meisten davon Lügen.
Aber sie will sich zwingen, will es üben, sie will lernen, bald wird sie müssen.

Die Freunde des Mannes sind zu Gast, sie muß raus, will nichts vorspielen, nicht so tun, als wäre alles wie früher.
Die Freunde sind höflich, binden sie ein in die Unterhaltung, doch sie hat nichts beizutragen, zu fern die Gedanken.

Draußen ist es heiß, das Lenkrad brennt unter ihren Händen.

Das Fest in der Stadt hat sie vergessen, viele Menschen, überall.
Trotzdem geht sie, will tapfer sein, übergeht das Zittern ihrer Beine, das flaue Gefühl im Magen.

Sie sieht Menschen jeden Alters, gut gelaunt, fröhlich, miteinander redend.
Ich will so sein wie ihr.“ denkt sie, spürt den Kloß in ihrem Hals, die aufkeimende Angst.
Trotzdem, sie setzt einen Fuß vor den andern, geht weiter, immer weiter, meidet die Menge, bewegt sich am Rand.

Die Angst ebbt ab, sie kann besser atmen, das Zittern lässt nach.

Sie beobachtet, sieht Männer und Frauen in leichter Kleidung, die Frauen in ihren kurzen Röcken, die Beine, wunderschöne Beine und nackte Schultern.
Sie bekommt ein Gefühl für den Sommer, leicht, beschwingt, im Hintergrund die Musik.

Sie findet eine leere Bank, setzt sich, beobachtet.
Das ist die Welt hinter meinem Spiegel.“ denkt sie.

Sie sammelt sich, bereit, weiter zu gehen, noch eine Runde, sie traut es sich zu.
Zwingt sich, den Schritt zu verlangsamen, tritt ein in die Menge, lässt sich mit ihr treiben, sorgsam darauf achtend, Berührungen zu vermeiden.

Als sie merkt, dass es ihr doch zu viel wird, weicht sie aus.
Sie sieht die Eisdiele und die wartende Menge davor und überlegt, ob sie es schafft, ein Eis zu bestellen.

Vor ihr in der Schlange eine Frau, etwa in ihrem Alter. Sie hat sie schon oft gesehen, von weitem, meist im Park, in den sie gern geht. Sie wirkt stark, selbstbewusst, von wilder natürlicher Schönheit. Menschen wie sie schüchtern sie ein.

Urplötzlich dreht sie sich nach ihr um, ihre Blicke treffen sich.

Wie ein Blitz durchzuckt die Angst ihren Körper. Sie denkt an Flucht, bleibt aber wie erstarrt.

Der erstaunte, fragende Gesichtsausdruck der Fremden weicht einem Lächeln.
Hey, du riechst gut!“ sagt sie, bevor sie sich wieder umdreht.

Verwirrt, wie benommen, klopfenden Herzens bemerkt sie kaum, dass sie an der Reihe ist. Nimmt kaum wahr, dass sie bestellt. Eine Kugel Vanille, obwohl sie Vanille gar nicht mag.

Den Weg zurück zum Parkplatz wie im Traum. Einen langen Moment der Besinnung, bevor sie nach Hause fährt.


Zu Hause, die Freunde noch alle da, der Geruch von Bier und Zigaretten in der Luft.
Komm, setz dich zu uns!“, aber sie mag nicht. Zu viele Eindrücke wollen verarbeitet werden, müssen verarbeitet werden.

In ihrem Zimmer setzt sie sich vor ihren Spiegel, schaut hinein, erkennt sich, ist sich fremd zugleich.

"Ich muß schreiben." denkt sie und fängt sofort damit an. Wort für Wort entspannt sich ihre Seele, ordnen sich ihre Gedanken.


Für heute hast du Großes erreicht, Lynn. Du warst mutig, bist durch die Stadt gegangen, unter Menschen.
Hast ausgehalten, die Angst ein wenig besiegt.

Und du wirst weiter üben, dich deinen Ängsten stellen und - wer weiß - eines Tages den Weg finden auf die andere Seite des Spiegels.



Seltsam.. diese Worte, ausgesprochen ohne Bedeutung, hallen nach, wirken, einzigartig:

"Hey, du riechst gut!"

Was für ein Tag..
logo

Hinter den Spiegeln

Die Flucht in die Phantasie um die Realität zu verstehen

Ihr Status

Kommen Sie ruhig näher

Reicht die Zeit

Auf dem Weg

Online seit 5398 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 2. Jan, 21:53

Credits

eins, zwei, drei, ganz viele:


Altlasten
Am Anfang vom Ende
Neuland
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren