Samstag, 23. Oktober 2010

Die Scheidung

Ein Stück Papier nur, die Unterschrift von ihm und mir, ein trockener formaler Akt, kurz und schmerzlos, und die Ehe ist aufgelöst.

So jedenfalls hatten wir es uns gedacht.

Kein Vermögen zu trennen, kaum Besitz zu teilen und für meinen Unterhalt sorge ich selbst.

Wir wollen uns Zeit lassen, wir haben es nicht eilig, doch der Vater des Mannes, mein verhasster Schwiegervater, drängt nun zur Eile.


Wie froh er wohl war, sie endlich los zu sein, sie, die komische, verschlossene, arrogante, die nicht seinem Bild eines stillen, fügsamen Hausmütterchen entsprach, sich seinem Wunsch nach einem Stammhalter so vehement widersetzte und nicht nach seiner Pfeife tanzte.

Wie froh sie ist, ihn endlich los zu sein, ihn, den dominanten, herrschsüchtigen, egoistischen, der sich immer aufführte wie die Axt im Walde.


Wie einen alten, schmutzigen Kittel werde ich seinen Namen und damit den des Mannes endlich ablegen, den ich seiner Meinung nach sowieso nicht verdiente.

Anfang nächsten Jahres soll es so weit sein, es gibt keinen Grund für uns etwas zu überstürzen.
Doch nun macht er Ärger, der widerliche Mensch, nistet sich ein in meinem alten Zuhause, wie ein Geschwür, mischt sich ein, setzt den Mann unter Druck, bestimmt, kommandiert, duldet keinen Widerspruch.


Und bringt den Mann damit in Zugzwang.

Heute mittag saßen wir beisammen, er und ich, und wir besprachen das Ganze.
Er konnte sich immer schon schlecht gegen den Schwiegervater zur Wehr setzen, immer verließ er sich dabei ganz auf mich, was mich in dessen Augen natürlich nicht beliebter machte.
;-)

Und so soll es auch jetzt wieder sein, an mir wird es mal wieder liegen, an wem auch sonst?

Ich werde also diejenige sein, die sich sträubt, die sich widersetzt, an mir wird es liegen, dass der Termin sich ziehen wird bis zum Frühjahr, ich werde meinen Kopf dafür hinhalten.

Aber das werde ich nur zu gerne tun..

..weil wir es nicht eilig haben.

..weil wir es so besprochen und geplant haben.

..weil wir uns boshaft darüber freuen.

..weil es uns zu kleinen Verschwörern macht.

..weil wir wissen, dass es ihn ärgert.

..weil er ein verdammter Drecksack ist.

Und damit basta!

Samstag, 16. Oktober 2010

Schöne Aussicht

Ein Bad hat sie sich gegönnt, wunderbar warm, gemütlich, der Zusatz verführerisch duftend.

Ein kleines Fläschen Sekt, im Hintergrund leise Musik, den Alltag abwaschen, entspannen nach dem langen Spaziergang im Wald, die Ruhe und die Einsamkeit geniessen.

Sie liegt auf ihrem Sofa, die Sonne scheint auf ihren Bauch, zaubert durch den Kristall, der in dem großen Fenster hängt und den sie angestubst hat, damit er sich dreht, viele regenbogenfarbene Punkte an die Wand.

Sie verfolgt die wirbelnden Punkte an der Wand mit ihren Augen, die Wirkung ist hypnotisch, sie fängt an zu träumen.

Vom Fenster des Schlafzimmers beobachtet sie oft den jungen Mann, sie sieht ihm gerne zu.
Gut gebaut, athletisch, dunkler Typ, er gefällt ihr.

Er scheint allein zu sein mit seiner Katze, auf den Fenstern stehen Pflanzen, an seinen Fenstern keine Gardinen.

Er ist ein pünktlicher Mensch, er hat feste Zeiten, genau wie sie, so kann sie ihm regelmäßig beim Zubereiten des Abendessens beim heimkommen beobachten.

Sie sieht ihn spülen, essen, lesen. Manchmal läuft er mit freiem Oberkörper umher, eine sehr anregende Aussicht, die sie geniesst.

Nun ist es Abend, ein kleines Essen hat sie sich gemacht, der Blick wandert automatisch Richtung Fenster, doch die Fenster auf der anderen Seite liegen im Dunkeln.

Auf dem Sofa die Erinnerung...

wie er am Fenster stand und in die Sonne schaute, sein Gesicht, die Augen geschlossen, die schönen Lippen, das dunkle Haar leicht zerzaust.

Die Haut seiner kräftigen Oberarme, wie sie sich wohl anfühlt?


Sie denkt an seinen Mund, stellt sich vor ihn zu küssen, erst zaghaft, sanft, dann leidenschaftlich, stürmisch.

Ein Schauder jagt ihr über den Rücken, angenehm, sie schüttelt sich leicht, zieht sich die weiche Decke ein wenig höher.

Als sie mit der Hand ihren Oberarm berührt stellt sie sich vor es wäre die seine und lächelt.

Es ist Leben in mir, so viel Leben.
So lang war ich tot, doch langsam erwache ich. Ich beginne von neuem zu fühlen, eine kleine Pflanze die ein Baum werden will, ein kleiner Funken, der zum Feuer wird.


Sie liegt auf dem Sofa, das Wohnzimmer getaucht in warmes Kerzenlicht und sie träumt, träumt von diesem Mann, der ihrer Phantasie ein Gesicht gibt und spürt, spürt das Leben, wie es zurück kommt, wie es über sie kommt, wie es in sie zurück schwappt wie eine gigantische Welle, sie umspült und umgibt, sie überrollt...

Ich bin ich. Und ich lebe!

Mittwoch, 29. September 2010

Schritt für Schritt

Die Ereignisse überschlugen sich, zum Denken, für Selbstbemitleid, zum Träumen und Verdrängen keine Zeit.

Die Suche nach einem neuen Zuhause, einem Kollegen gegenüber nur beiläufig erwähnt, erübrigte sich, da dessen Tochter umzog und ihr die Wohnung überließ.
Davon profitierten sie beide, die junge Frau brauchte nun keine Frist einzuhalten und Lynnie konnte nun endlich raus, raus, raus aus dem Haus, das ihr, obwohl es groß und gut aufgeteilt, immer enger und enger wurde und ihr die Luft zum atmen nahm.

Nicht mehr am Stadtrand, mittendrin, alle wichtigen Stationen schnell zu Fuß, mit dem Rad oder Auto erreichbar. In unmittelbarer Nähe der wunderschöne Park, was sie darüber hinweg tröstet, dass der Wald nun zu weit weg liegt um ihre regelmäßigen "Besuche" ihrer Lieblingsplätze wie gewohnt in ihrem Tagesablauf unterzubringen.

Die Wohnung, klein aber gemütlich, große Fenster mit schöner Aussicht, anfangs leer und trostlos, nun mit neuen Tapeten und sanften Farben frisch und einladend.

Die Möbel fast alle neu angeschafft, bis auf den alten Eichenschrank und die dazu gehörige Kommode.

Die Decken ungewohnt hoch wirkten die Fenster wie tote Augen. Sie, abends auf dem gemütlichen, neuen Sofa, sich fremd fühlend, fehl am Platze, ohne Vertrautheit, ohne Trost, wie ein kleines Mädchen, angstvoll, ruhelos.

Doch schnell waren Stoffe besorgt und passende Vorhänge genäht, Bilder und ihren großen, wundervollen Spiegel aufgehängt, mit ein klein wenig Dekoration die fremden Zimmer in ein neues Heim verwandelt.

Altes, gemischt mit Neuem, ein wenig Erinnerung hier, ein wenig "Neues Leben" dort..

Drei andere Parteien noch im Haus, doch bisher kaum Kontakt zu ihren Nachbarn, flüchtige Begegnungen im Treppenhaus, ein gegenseitiges "Guten Tag", mehr nicht, doch das genügt ihr, vorerst.
Nur abends hört sie Geräusche im Haus, Schritte, gedämpfte Stimmen, ungewohnt, störend und doch seltsam tröstend zu wissen:

Ich bin nicht allein!

Die ersten Schritte, zaghaft, so sehr gefürchtet, sind getan. Mit Hilfe des Mannes, der sich all die Jahre für sie mitkümmerte, der ihr alles erklärte, konnte sie anmelden, ummelden, Verträge kündigen, neue abschließen, die neue Anschrift weiterleiten und vieles andere, mit dem sie sich bisher niemals hat beschäftigen müssen.

Langsam kehrt der Alltag zurück, nach und nach eine gewisse Routine, der neue Tagesablauf so völlig anders als früher.
Sich nicht mehr nach dem Mann richten, nicht mehr mit dem Essen, keine langweiligen Fernsehabende mehr, an denen der Mann einst das Programm entschied, keine störende Musik, die nicht ihrem Geschmack entsprach,

endlich

endlich

endlich

nur

endlich

für mich

endlich

Ich.

Donnerstag, 29. Juli 2010

Das Gespräch

So viel ist passiert in den letzten Tagen, alles ging so schnell, kam so plötzlich, sehr viele Veränderungen in meinem Leben, die ich noch immer versuche einzuordnen.

Ich traf mich mit meinem Mann in einem kleinen Café, etwas außerhalb der belebten Stadt, zu einer Uhrzeit, in der es nicht so stark besucht sein würde.
Schon als ich ihn um dieses Treffen bat, wirkte er ruhig, gefasst, ahnend, wissend..

Viel zu früh erschien ich, lange vor der ausgemachten Zeit, ängstlich, sehr nervös.
Ich versuchte mich zu ordnen, formulierte bereits in Gedanken meine Anliegen, meine Antworten auf eventuelle Fragen.

Als er kam, pünktlich wie immer, begann unser Gespräch mit harmlosen Geplänkel, angenehm und locker.

Fast wie früher.“ dachte ich.

Seltsam unbeschwert, fast ein neues Kennenlernen, wir beide sorgsam darauf bedacht dem Anderen Aufmerksamkeit zu schenken, gegenseitiges Befragen nach dem Befinden, vorsichtiges Annähern..

Offensichtlich, dass wir beide versuchten, durch Plauderei dem eigentlichen Grund des Treffens aus dem Wege zu gehen oder es zumindest weiträumig zu umkreisen, wie die Katze den heißen Brei.

Doch nachdem der Kaffee getrunken und der Kuchen gegessen war, stieg in mir die Spannung wieder, wurde unerträglich, mit Gewalt verbot ich mir den Gedanken, alles wieder hinauszuzögern, sammelte all meinen Mut, setzte mich gerade, die Schultern zurück, den Kopf aufrecht, den Blick fest auf das Gesicht meines Mannes gerichtet und begann..



Und es war einfacher, als sie es sich gedacht hatte, die Gedanken, die Worte

Es tut mir so leid.

in ihrer Vorstellung so oft gesprochen

Spürst du es denn nicht auch?

umformuliert, entschärft, wohlüberlegt

Wenn du ehrlich zu dir bist

nahmen Formen an, sprudelten heraus

wäre es für uns beide doch besser

wurden wahr

wir würden uns trennen?

und verschafften, neben der Angst auf die Reaktion, doch auch unglaubliche Erleichterung.



Eine gefühlte Ewigkeit sagte er nichts, schien zu überlegen, setze an, um doch wieder zu schweigen.
Ich spürte, auch er schien ängstlich zu sein, unsicher, ein Gefühl, welches ich bei ihm, der immer stark und selbstbewusst, selten erlebte.

Nach einer Weile sagte er: „Ja, ich glaube, du hast recht. Es wird wohl das Beste sein, für uns beide. Auch mir tut es leid.
Und er nahm meine Hände, die erste Berührung nach langer, langer Zeit, hielt sie fest, der Druck der Hände von mir erwidert, wir sahen uns beide in die Augen, spürten, bedauerten, viele Emotionen, in Worte nicht zu fassen, schwirrten um uns herum, suchten und fanden, sprachen eine Sprache, in der Worte überflüssig waren, die mehr erklärten, als alles andere..

Zum Abschied schlug er vor, dass wir beide erst einmal zur Ruhe kommen sollten, bevor wir unser Gespräch fortsetzen und ich stimmte zu.
Er versicherte mir, mir zu helfen, mich zu unterstützen und ich bedankte mich dafür, auch wenn ich mir sicher bin, sein Angebot nicht in Anspruch zu nehmen, jedenfalls nicht allzu sehr.

Ich denke, ich komme heute nicht nach Hause.“ sagte er noch. „Ich werde bei einem Freund übernachten, ich muß mit jemandem über alles reden. Du kommst doch zurecht, oder?

Seine Stimme zitterte und ich spürte, dass er, obwohl er nach Außen hin versuchte stark zu wirken, den Tränen nahe war. Wir verabschiedeten uns mit einer Umarmung, innig, die erste seit fast 2 Jahren, das Gefühl des Vertrauten, aber auch des Fremden.

Ich lief eine ganze Weile durch den Park, verwirrt, befreit, unsicher, gestärkt. Die Gefühle fuhren Achterbahn in meinem Kopf, unfähig diese zu greifen, zu verstehen, zu halten, zu verfolgen.

Wie lange ich durch den Park lief weiß ich nicht, die Füße fanden ihren Weg wie von allein. So stand ich irgendwann vor unserer Haustür, es dämmerte bereits und noch immer war ich durcheinander.
Wie durch die Augen einer anderen Person sah ich mich die Hausarbeiten erledigen, ich kochte, ich aß, ohne zu schmecken, ohne wirklich da zu sein.

Und dann abends im Bett, dieser Gedanke, diese Erkenntnis, kam über mich wie eine Welle, überrollte mich, zog mich mit, nicht zu bremsen, es gab kein Entkommen – und ich weinte, weinte, weinte wie noch nie zuvor im meinem Leben.



Wie konnte es nur sein, warum war sie so blind gewesen?
Das Verständnis, die Erleichterung des Mannes.
Sie hatte es gesehen, in seinen Augen.
Es ging ihm ebenso wie ihr und sie hatte es nicht gemerkt, auch er litt unter dieser längst gestorbenen Beziehung und schien ebenso wenig Mut gehabt zu haben wie sie, einen Strich zu ziehen, klare Worte zu finden.
Und sie hatte es nicht wahr genommen, zu sehr mit sich selbst beschäftigt, blind und taub für die Gefühle anderer, blind und taub gegenüber der Gefühle des Mannes, den sie schon so lange zu kennen glaubte, mit dem sie fast 10 Jahre verheiratet ist.
Seine Ängste und Unfähigkeit als Egoismus gewertet, seinen Rückzug von ihr als Gefühlskälte.


Wie lange schon?“ fragte sie sich. „Wie lange schon?

Und sie weinte wegen all der Zeit, die sie statt gemeinsam verbracht nebeneinander her verschwendet hatten, weinte wegen all der verpassten Gelegenheiten, die sie nicht wahrgenommen hatten, beide schuldig und unschuldig zugleich, beide still leidend, unfähig, traurig, schwach.

Und es tat gut.

Samstag, 17. Juli 2010

Müde

Wie kannst du nur!“, mehr Vorwurf als Frage.
Aber dir geht es doch gut, du hast alles was du brauchst, was willst du mehr?!

Ihre Freundin machte sie wütend, enttäuschte sie.
Sehr lange hatte sie überlegt, gründlich nachgedacht.
Sie hat es sich nicht leicht gemacht mit ihrer Entscheidung, sie einzuweihen, denn noch hatte sie nicht mit dem Mann darüber gesprochen.
Schlecht fühlte sie sich deswegen, hundsmiserabel.

Ich möchte so nicht mehr leben. Ich werde mich trennen, ich werde ausziehen.“ sagte sie.
Du spinnst doch, Lynn! Wie willst du denn allein zurechtkommen, hast du dir das mal überlegt? So einen Mann wie ihn findest du niemals wieder, gerade du, die du so komisch bist!

Erneut kommt die Wut in ihr hoch. War nicht sie es, die immer sagte: „Wie hältst du ihn nur aus? Wie kannst du dir das gefallen lassen?“?
Und nun diese Vorwürfe.

Sie hatte sich das Treffen anders vorgestellt, hatte darauf geachtet, mit ihrer Freundin allein zu sein, ungestört. Ohne den Sohn, den sie zwar mochte, brav und gut erzogen, der aber stets alles anfasste und die Dinge in der Wohnung nicht an ihrem Platz ließ.
Kuchen hatte sie gebacken, den Tisch schön geschmückt, gemütlich hatte es werden sollen.

Ganz vertraut hatte es sein sollen, ganz intim, nur sie und ihre Freundin.

Mit Erstaunen hatte sie gerechnet, mit Fragen, aber nicht mit Vorwürfen. Ein wenig Verständnis hatte sie sich erhofft und vor allem ihre Hilfe, denn sie weiß nur zu gut, dass sie das alles allein nicht schafft.

Die Freundin sprach, doch sie hatte Mühe, dem Gespräch zu folgen, hatte abgeschaltet, war wieder geflüchtet in ihr kleines Reich, in ihre heile Welt.
Die Zeit verstrich qualvoll langsam, bis sich die Freundin endlich verabschiedete.

Wieder allein kamen Zweifel in ihr auf.

Was habe ich mir nur dabei gedacht? Ist das Zusammenleben mit ihm denn wirklich so schlimm?

Sie schüttelte den Kopf, verscheuchte die Gedanken. Nein, schlimm war es nicht.
Nicht schlimm, aber.. gleichgültig. Teilnahmslos. Egal.

Und deswegen durfte sie sich nicht entmutigen lassen, musste weitergehen. Gleich morgen würde sie sich Hilfe holen, sich beraten lassen.

Wichtige Schritte mussten unternommen werden, eine Wohnung finden, Möbel besorgen, sie würde in Zukunft allein einkaufen, alles allein regeln müssen.

Und natürlich die Scheidung. Sie musste mit ihrem Mann sprechen, gleich morgen. Bevor es die Freundin tat. Ob sie es ihr zutraute? Nach dem „Gespräch“ von heute konnte sie es nicht ausschließen.

So viel zu tun. Sie fühlt sich müde, müde, so müde.

Ich muß endlich aufhören zu träumen, endlich der Realität ins Auge sehen. Nicht immer flüchten, nicht den Problemen mit meinen Träumerein aus dem Weg gehen.
Morgen werde ich eine Beratungsstelle aufsuchen und mir helfen lassen. Es wird schwer werden, aber ich werde es schaffen.

Wach endlich auf, Lynn, werd endlich erwachsen!

Sonntag, 11. Juli 2010

Draußen

Sie geht nicht gerne raus, am liebsten bleibt sie in ihren vertrauten vier Wänden.
In die Natur jederzeit, wo sie eins ist mit sich und ihren Gedanken, spürt, lebt, frei ist, stark.
Die Menschen machen ihr Angst, zu viele Regeln zu beachten, zu viele Phrasen gedankenlos aussprechen, die meisten davon Lügen.
Aber sie will sich zwingen, will es üben, sie will lernen, bald wird sie müssen.

Die Freunde des Mannes sind zu Gast, sie muß raus, will nichts vorspielen, nicht so tun, als wäre alles wie früher.
Die Freunde sind höflich, binden sie ein in die Unterhaltung, doch sie hat nichts beizutragen, zu fern die Gedanken.

Draußen ist es heiß, das Lenkrad brennt unter ihren Händen.

Das Fest in der Stadt hat sie vergessen, viele Menschen, überall.
Trotzdem geht sie, will tapfer sein, übergeht das Zittern ihrer Beine, das flaue Gefühl im Magen.

Sie sieht Menschen jeden Alters, gut gelaunt, fröhlich, miteinander redend.
Ich will so sein wie ihr.“ denkt sie, spürt den Kloß in ihrem Hals, die aufkeimende Angst.
Trotzdem, sie setzt einen Fuß vor den andern, geht weiter, immer weiter, meidet die Menge, bewegt sich am Rand.

Die Angst ebbt ab, sie kann besser atmen, das Zittern lässt nach.

Sie beobachtet, sieht Männer und Frauen in leichter Kleidung, die Frauen in ihren kurzen Röcken, die Beine, wunderschöne Beine und nackte Schultern.
Sie bekommt ein Gefühl für den Sommer, leicht, beschwingt, im Hintergrund die Musik.

Sie findet eine leere Bank, setzt sich, beobachtet.
Das ist die Welt hinter meinem Spiegel.“ denkt sie.

Sie sammelt sich, bereit, weiter zu gehen, noch eine Runde, sie traut es sich zu.
Zwingt sich, den Schritt zu verlangsamen, tritt ein in die Menge, lässt sich mit ihr treiben, sorgsam darauf achtend, Berührungen zu vermeiden.

Als sie merkt, dass es ihr doch zu viel wird, weicht sie aus.
Sie sieht die Eisdiele und die wartende Menge davor und überlegt, ob sie es schafft, ein Eis zu bestellen.

Vor ihr in der Schlange eine Frau, etwa in ihrem Alter. Sie hat sie schon oft gesehen, von weitem, meist im Park, in den sie gern geht. Sie wirkt stark, selbstbewusst, von wilder natürlicher Schönheit. Menschen wie sie schüchtern sie ein.

Urplötzlich dreht sie sich nach ihr um, ihre Blicke treffen sich.

Wie ein Blitz durchzuckt die Angst ihren Körper. Sie denkt an Flucht, bleibt aber wie erstarrt.

Der erstaunte, fragende Gesichtsausdruck der Fremden weicht einem Lächeln.
Hey, du riechst gut!“ sagt sie, bevor sie sich wieder umdreht.

Verwirrt, wie benommen, klopfenden Herzens bemerkt sie kaum, dass sie an der Reihe ist. Nimmt kaum wahr, dass sie bestellt. Eine Kugel Vanille, obwohl sie Vanille gar nicht mag.

Den Weg zurück zum Parkplatz wie im Traum. Einen langen Moment der Besinnung, bevor sie nach Hause fährt.


Zu Hause, die Freunde noch alle da, der Geruch von Bier und Zigaretten in der Luft.
Komm, setz dich zu uns!“, aber sie mag nicht. Zu viele Eindrücke wollen verarbeitet werden, müssen verarbeitet werden.

In ihrem Zimmer setzt sie sich vor ihren Spiegel, schaut hinein, erkennt sich, ist sich fremd zugleich.

"Ich muß schreiben." denkt sie und fängt sofort damit an. Wort für Wort entspannt sich ihre Seele, ordnen sich ihre Gedanken.


Für heute hast du Großes erreicht, Lynn. Du warst mutig, bist durch die Stadt gegangen, unter Menschen.
Hast ausgehalten, die Angst ein wenig besiegt.

Und du wirst weiter üben, dich deinen Ängsten stellen und - wer weiß - eines Tages den Weg finden auf die andere Seite des Spiegels.



Seltsam.. diese Worte, ausgesprochen ohne Bedeutung, hallen nach, wirken, einzigartig:

"Hey, du riechst gut!"

Was für ein Tag..

Samstag, 10. Juli 2010

Wie gehabt

So vergehen die Tage. Schweigend.

Nur das Nötigste:

„Guten Morgen.“
„Guten Abend.“
„Ja.“
„Nein.“
„Bitte.“
„Danke.“
„Das Essen ist fertig.“

Wenn es ihm auffällt, so beschwert er sich nicht. Er nimmt es hin.

Ihren Kopf, vom üblen Gestank befreit, hat sie zu gemacht.
Geschlossen. Bis auf weiteres.
Sie erlaubt sich kein Nachdenken, kein Grübeln, nun nicht mehr.

Ohne Nachdenken kein Schmerz.

Stumm und abgestumpft. Taub und gefühllos.

Es tut so weh.

Freitag, 9. Juli 2010

Er

Er spürt es natürlich auch, aber er macht sich keine Sorgen. Alles wie gewohnt.

Sie schlafen getrennt, schon eine ganze Weile.
Aber auch das bekümmert ihn nicht.

So viel gibt es zu tun, die Arbeit, die Freunde, all solche Sachen.
Da bleibt wenig Zeit zum Nachdenken und diesen Geruch nimmt er nicht wahr.

Das wird schon wieder!“ pflegte er ihr oft zu sagen, „Wer, wenn nicht wir!“.

Die Zeit heilt alle Wunden.

Sie macht gleichgültig.

Dieser Geruch

Irgendwann kommst du nach Hause und bemerkst diesen Geruch. Er war schon früher da, aber noch nie so stark wie jetzt.
Du hast geglaubt, dass die Liebe zu diesem Mann nur ein wenig krank ist und Erholung braucht.

„Sie braucht nur ein bisschen Zeit..“ hast du gedacht und gewartet, einsam still und traurig gewartet.
Und nun liegt sie in der Ecke, die Liebe, nicht krank, sondern bereits tot. Nicht tot, bereits verwest, daher dieser Gestank.

Als du es endlich begriffen hast, hast du aufgehört zu warten und zu leiden.
Du hast gelüftet. Die Fenster weit aufgemacht, um den Gestank los zu werden.

Den Kopf gelüftet.

Die Gedanken befreit.

Platz für Neues.
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Hinter den Spiegeln

Die Flucht in die Phantasie um die Realität zu verstehen

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Kommen Sie ruhig näher

Reicht die Zeit

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Zuletzt aktualisiert: 2. Jan, 21:53

Credits

eins, zwei, drei, ganz viele:


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